Tagebuch - nicht nur meiner literarischen Arbeiten

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Dienstag, 30. September 2008

Rumi zum heutigen Geburtstag


Bild: Das sogenannte "Mathnawi-Manuskript", 1479, Schiraz, Persien, (wikicommons.org)

Dschalal ad-Din Muhammad Rumi, مولانا جلال الدین محمد رومی‎-:

Die Liebe

(Mathnawi, erstes Buch, 110-16)


Die Feder eilt im Schreiben kaum zu halten,

Kommt sie zur Liebe, muss sie gleich zerspalten.


چون قلم اندر نوشتن مي ‌شتافت


چون به عشق آمد قلم بر خود شكافت

Wie ich die Liebe auch erklären will -

Komm ich zur Liebe, schweig' ich schamvoll still.


هر چه گويم عشق را شرح و بيان


چون به عشق آيم خجل باشم از آن

Erklärung mag erleuchten noch so sehr,

Doch Liebe ohne Zungen leuchtet mehr!


گرچه‌ تفسير زبان‌ روشنگر است


ليك‌ عشقِ بي‌ زبان‌ روشن‌تر است

Verstand : ein Esel, im Morast geblieben -

Erklärung gibt für Liebe, nur das Lieben.

عقل‌ در شرحش‌ چو خَر در گل‌ بخفت‌



شرح عشق و عاشقی هم عشق گفت


Übersetzung Annemarie Schimmel


Nebel am Teich II


Bild: Kazimiercz Stabrowski, Das Märchen vom goldenen Herbst, 1910, (wikicommons.org)

Nebel am Teich II


Der Wald hüllt sich ins Nebelkleid,

Ich finde kaum den Weg,

Es flüstert von Vergänglichkeit,

Von Ängsten die ich heg.


Von allen Bäumen tropft es leicht,

Es wird kaum richtig Tag.

Die Farben schweigen ausgebleicht,

Damit ich sie nicht frag.


Und wieder geh ich bis zum Teich,

Geh in mir selbst zurück,

Seh meine Maske, nicht mehr bleich,

Und find’ von mir ein Stück.


Montag, 29. September 2008

Eichhörnchen Hoffnung


Bild: Hans Hoffmann, Eichhörnchen, 1578, (wikicommons.org)

Eichhörnchen-Hoffnung


Als Farbe trägt es rötlich-braun,

Und hüpft von Ast zu Ast,

Ist niedlich-putzig anzuschaun,

Das Hörnchen ohne Rast.


Es sammelt Nüsse aller Art,

Die es sich dann versteckt,

Und hat genügend angespart,

Wenn niemand das entdeckt.


Während die Hörnchen wie im Spiel

Sich Vorratsnester bauen,

Ist es der vielen Räuber Ziel

Die Nüsse dort zu klauen.

---

So mancher hat mit Sparsamkeit

Sich irgendetwas aufgebaut,

Damit dann in der Winterzeit

Ihm jemand seine Nüsse klaut.


Gotthold Ephraim Lessing - Die Ringparabel



Gotthold Ephraim Lessing - Die Ringparabel

Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten,
Der einen Ring von unschätzbarem Wert
Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein
Opal, der hundert schöne Farben spielte,
Und hatte die geheime Kraft, vor Gott
Und Menschen angenehm zu machen, wer
In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,
Dass ihn der Mann in Osten darum nie
Vom Finger ließ; und die Verfügung traf,
Auf ewig ihn bei seinem Hause zu erhalten?
Nämlich so. Er ließ den Ring
Von seinen Söhnen dem geliebtesten;
Und setzte fest, dass dieser wiederum
Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,
Der ihm der liebste sei; und stets der liebste,
Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein
Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde.
So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,
Auf einen Vater endlich von drei Söhnen;
Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,
Die alle drei er folglich gleich zu lieben
Sich nicht entbrechen konnte.- Was zu tun?
Er sendet in geheim zu einem Künstler,
Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes,
Zwei andere bestellt, und weder Kosten
Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,
Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt.
Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt,
kann selbst der Vater seinen Musterring
Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft
Er seine Söhne, jeden insbesondere;
Gibt jedem insbesondere seinen Segen, -
Und seinen Ring, - und stirbt.
Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder
Mit seinem Ring, und jeder will der Fürst
Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt,
Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht
Erweislich; - Wie gesagt: die Söhne
Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter,
Unmittelbar aus seines Vaters Hand
Den Ring zu haben. - Wie auch wahr! -
Der Richter sprach: Ich höre ja, der rechte Ring
Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;
Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss
Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden
Doch das nicht können
Und also, fuhr der Richter fort: Wohlan!
Es eifre jeder seiner unbestochnen
Von Vorurteilen freien Liebe nach!
Es strebe von euch jeder um die Wette,
Die Kraft des Steins in seinem Ring an Tag
Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,
Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,
Mit innigster Ergebenheit in Gott
Zu Hilf!

Sonntag, 28. September 2008

Der Lebensplan


Bild: Arthur Rackham, Die Nornen weben am Schicksal, 1912, (wikicommons.org)

Der Lebensplan

(Ferdinand Raimund lässt grüßen, „Das Schicksal setzt den Hobel an…“)


Du legst in deinem Großenwahn

Dir alles schön zu recht,

Hast diesen oder jenen Plan,

Und das machst du nicht schlecht.


Der Zufall schlägt erbarmungslos

Auf deine Pläne ein,

Grad darin ist er eben groß,

Sonst würd ´s kein Zufall sein.


Am Ende bleibt dir nur dein Ziel,

Der Plan ist für die Katz.

Drum mach für dich daraus ein Spiel,

Als Lebensplanersatz.


Samstag, 27. September 2008

Urteilen


Bild: Max Klinger, Das Urteil des Paris, 1886 - 87, (wikicommons.org)

Urteilen


Jetzt,

Da ich alt genug bin,

Und ausreichend

Erfahrungen habe

Um ein Urteilsvermögen

Besitzen zu können,

Merke ich,

Dass ich

Gar nicht mehr

Urteilen will.


Meine Welt


Bild: Jean Jacques Henner, Die Leserin, um 1885, (wikicommons.org)

Meine Welt


Hier leb ich, mitten unter euch,

Ich bin genau wie ihr.

Ein jeder lebt in seinem Reich, -

Meins ist die Sprache auf Papier.


So manchem wird die eigne Welt

Zum traurigen Verhängnis,

Er hat sich ´s anders vorgestellt,

Jetzt ist sie sein Gefängnis.


Ich bin in meiner Welt sehr gern,

Sag’ frei und fest: ich bleibe.

Und Fluchtgedanken sind mir fern. -

So lese ich und schreibe.


Freitag, 26. September 2008

Was ich schreibe


Bild: Indischer Maler von 1603, Nafat al-Uns von Tami, Dichter und Derwisch in häuslicher Szene, (zeno.org)

Was ich schreibe


Das große Epos schreib ich nicht,

Davon gibt’s reichlich viel.

Ich sing ein kleineres Gedicht,

Und mach daraus ein Spiel.


Ich sing die kleinere Ballade,

Mit manchmal einer Strophe nur,

Da rück’ ich meinen Vers gerade.

Ich sing in Moll und auch in Dur.


Das mach ich gern. – Mit froher Laune

Versetze ich dem Schicksal Hiebe.

Ich schreib’, so dass ich selber staune,

Wie sehr ich unsre Sprache liebe.


Meiner Muse gewidmet


Bild: Odilon Redon, Muse auf Pegasus, um 1900, (wikicommons.org)

Meiner Muse gewidmet


Wenn die dunkle Seite spricht,

Tröstest du, und ein Gedicht

Fällt, wie Seide auf die Haut,

In die Seele, die es schaut.


Wenn Kälte in die Knochen kriecht,

Singst du mir, wie Lila riecht.

Dann hast du mir das gegeben:

Farbe, Duft, Musik - und Leben.


Donnerstag, 25. September 2008

Staunen


Bild: Die Himmelsscheibe von Nebra, (wikipedia.org)

Staunen


Wenn ich

Das Staunen verlernt habe,

Bin ich zu alt

Zum

Weiterleben.


Geheimnisse

Halten uns

Am Leben.


Noch lange nicht

Bin ich

Lebenssatt.


Herbsttänze


Bild: Maruyama Okyo, Flug der Wildgänse, 18. Jh., (zeno.org)

Herbsttänze


Da bin ich mitten in der Nacht,

Vom Schrei der Gänse aufgewacht;

Sie fliegen schon nach Süden.

Das zählt zum Schönsten auf der Welt,

Ihr Tanzen nachts am Himmelszelt;

Es kann mich nie ermüden.


Wie sie sich sanft im Wind bewegen,

Sie tanzen im Septemberregen,

Die Bäume, die jetzt leichter sind.

Die ersten Stürme sind noch weit,

Bald schmückt sie ihr Oktoberkleid,

Auch das verschwendet sich im Wind.


Mittwoch, 24. September 2008

So lala


Bild: Joachim Wtewael, Küchenszene, 1605, (wikicommons.org)

So lala


Ich mach mir deine Sprüche

Zueigen, rede Blech.

Ich hasse deine Küche,

Du meine. Das ist Pech.


Wir löffeln unsre Suppe

Zwar gegenseitig aus.

Du bist mir auch nicht Schnuppe,

Doch mach ich mir nichts draus.


Wer weiß, was wir da treiben,

Zusammen und allein?

Ich will nicht bei dir bleiben,

Und will doch bei dir sein.


Am Ende der Wanderung


Bild: Caspar David Friedrich, Wanderer über dem Nebelmeer, um 1818, (zeno.org)

Am Ende der Wanderung


Stur wandern, vorwärts bis zum Ziel,

Du hattest ´s dir geschworen.

Und unterwegs, wer fragt da viel? -

Jetzt fühlst du dich verloren.


Es fehlt dir etwas – irgendwie.

Du kannst es nicht beschreiben,

Wie Töne einer Melodie,

Die nicht im Ohre bleiben.


Das Ziel ist da. – Du selber auch?

Noch wandert dein Gefühl

Durch dichten Nebel und durch Rauch,

Weiß nicht mehr was es will.


Dienstag, 23. September 2008

Frau Kummer, die Glucke, stirbt


Bild: Egon Schiele, Agonie, 1912, (zeno.org)

Frau Kummer, die Glucke, stirbt


Sie will noch auf dem Sterbebett,

Sich nicht auf sich besinnen,

Weil Trauer, eigne Pietät

Ihr durch die Hände rinnen.


Sie flüchtet in Geschäftigkeit,

Ins Kümmern und in Sorgen.

Sie hat sich nie davon befreit:

Ich werd ihr meine borgen.


Dann hat sie wirklich was zu tun,

Und kann sich ganz entfalten. -

Es wäre Zeit mal auszuruhn,

Sie zählt ja zu den Alten.


Dann ist sie tot und weiß es nicht,

Ihr Leben war nur Plage.

Man sieht in ihrem Angesicht

Nichts als die letzte Frage.


Warum?


Montag, 22. September 2008

Der Teich atmet


Bild: Stuart Emmeline Wortley, "Der Tag ist vorüber, und die Dunkelheit naht auf Flügeln der Nacht"., Daguerreotypie aus dem Jahre 1865, (wikicommons.org)

Der Teich atmet


So als wär’ s sein Atemhauch,

Schickt er Nebel in die Nacht.

Nebel mischt sich mit dem Rauch,

Den die Zigarette macht.


Die Gedanken sind nicht schwer,

Schwerer wär ´s nicht hier zu sein.

Frühling ist schon lang nicht mehr,

Und mein Teich ist nicht allein.


Sonntag, 21. September 2008

Die alten Wanderschuhe


Bild: Vincent Willem van Gogh, Stillleben. Ein Paar Schuhe, 1886, (zeno.org)

Die alten Wanderschuhe


Die Wanderschuhe sind bejahrt,

Bald brauch ich ein Paar neue.

Hab’ leider nicht genug gespart,

Weil ich das Sparen scheue.


So ziehe ich die alten an,

Und hoff auf mildes Wetter.

Noch ist ´s nicht kalt, ich freu mich dran,

Am Stapfen durch die Blätter.


Der Weg zum Teich, etwas verschlammt,

Zum Glück sind ´s alte Schuhe,

Und so genieß ich ganz entspannt

Teich, Weg - und Abendruhe.


Der Dämon

Bild: Michail Alexandrowitsch Wrubel, Tamara und der Dämon, 1890, Illustration nach der gleichnamigen Erzählung von M. Lermontow, (wikicommons.org)

Der Dämon

Wir wissen schon, wo die Dämonen
Sich bergen und zuhause sind.
Sie müssen in uns selber wohnen,
Das weiß das Herz, das weiß der Wind.

Da ist ein Wissen um das Weh,
Das nicht erklärbar ist und schweigt, -
Und auch ein Hoffen auf die Fee,
Damit der Dämon sich nicht zeigt.

Wenn sich das Herz so mühsam quält,
Und einen Ausweg für sich sucht,
Dann ist es wenigstens beseelt,
Und nicht von Anfang an verflucht.

Samstag, 20. September 2008

Elsa Rieger liest mein Gedicht "Herbst gebucht"


Elsa Rieger liest: bitte hier anklicken 

Zum Teich hin II


Bild: Jean-Baptiste-Camille Corot, Erinnerung an Marissel, 1866, (wikicommons.org)

Zum Teich hin II


Der Himmel ist nur leicht bedeckt,

Der Mond scheint auf die Wege.

Sein Licht hat mich schon längst entdeckt,

Im Wald beim Wildgehege.


Mein Zauberteich ist nicht mehr fern,

„Ich komme schon, ich eile!“

Jetzt grüßt mich auch der Abendstern,

Und ich bin da, verweile,


Verweile lang an meinem Teich,

Er will mir vieles sagen.

Es spiegelt sich der Mond, so bleich,

Und es bleibt nichts zu fragen.


Freitag, 19. September 2008

Das geträumte Lied


Bild: Robert W. Buss, Dickens' Traum, unvollendetes Gemälde, 19. Jh., (wikicommons.org)

Das Geträumte Lied


(nach einer Anregung durch Syntaxia)


Ein Lied hab ich versäumt,

Es war so wunderschön.

Doch es war nur geträumt;

So kannst du es nicht sehn.


Doch einmal bin ich wach,

Ich hör das Lied ja wieder

Bei mir hier unterm Dach, -

Dann schreib ich ´s für dich nieder.


Hutlos


Bild: Thoraschrein der Synagogengemeinde in Springe bis 1938

Hutlos


Es kommt schon vor,

Dass ich eine Mütze aufsetze,

Wenn es richtig kalt ist.


Noch nie

Habe ich einen Hut gehabt.

So muss ich

Vor nichts und niemandem

Den Hut ziehen.


Ehrfurcht ist anders.


Wenn ich den

Jüdischen Friedhof besuche,

Leihe ich mir eine Kippa.


"Sebastian im Traum"


Bild: John William Waterhouse, Destiny, 1900, (wikicommons.org)

„Sebastian im Traum“*


Jetzt ist sie da, die Trakl-Zeit,

Du zündest eine Kerze an,

Bist für Melancholie bereit,

Und das, was sie bewirken kann.


Wenn Träume wirken ist es still,

Da ist nichts mehr mit Lärmen.

Und wer sich sagt, ich kann und will,

Der endet nicht mit Schwärmen.


Das Wunder ist fast immer da,

Wo wir es nie vermuten.

Wer weiß schon wirklich, was geschah,

Im Schlechten und im Guten?


Du trägst das rote Abendkleid

Und zündest eine Kerze an.

Zu allem bist du heut bereit,

Und dem, was es bewirken kann.


*Titel der Gedichtsammlung von Georg Trakl, Verlag Kurt Wolff, Leipzig 1915