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Samstag, 15. Januar 2011

Lessings Nathan der Weise - Ringparabel



Gotthold Ephraim Lessing

Nathan der Weise

Ein dramatisches Gedicht in fünf Aufzügen

3. Akt, siebter Auftritt (Die Ringparabel)

NATHAN.

Vor grauen Jahren lebt' ein Mann in Osten,

Der einen Ring von unschätzbarem Wert'

Aus lieber Hand besaß. Der Stein war ein

Opal, der hundert schöne Farben spielte,

Und hatte die geheime Kraft, vor Gott

Und Menschen angenehm zu machen, wer

In dieser Zuversicht ihn trug. Was Wunder,

Dass ihn der Mann im Osten darum nie

Vom Finger ließ; und die Verfügung traf,

Auf ewig ihn bei seinem Hause zu

Erhalten? Nämlich so. Er ließ den Ring

Von seinen Söhnen dem geliebtesten;

Und setzte fest, dass dieser wiederum

Den Ring von seinen Söhnen dem vermache,

Der ihm der liebste sei; und stets der liebste,

Ohn' Ansehn der Geburt, in Kraft allein

Des Rings, das Haupt, der Fürst des Hauses werde. –

Versteh mich, Sultan.

SALADIN.

Ich versteh dich. Weiter!

NATHAN.

So kam nun dieser Ring, von Sohn zu Sohn,

Auf einen Vater endlich von drei Söhnen;

Die alle drei ihm gleich gehorsam waren,

Die alle drei er folglich gleich zu lieben

Sich nicht entbrechen konnte. Nur von Zeit

Zu Zeit schien ihm bald der, bald dieser, bald

Der dritte, – so wie jeder sich mit ihm

Allein befand, und sein ergießend Herz

Die andern zwei nicht teilten, – würdiger

Des Ringes; den er denn auch einem jeden

Die fromme Schwachheit hatte, zu versprechen.

Das ging nun so, so lang es ging. – Allein

Es kam zum Sterben, und der gute Vater

Kömmt in Verlegenheit. Es schmerzt ihn, zwei

Von seinen Söhnen, die sich auf sein Wort

Verlassen, so zu kränken. – Was zu tun? –

Er sendet in geheim zu einem Künstler,

Bei dem er, nach dem Muster seines Ringes,

Zwei andere bestellt, und weder Kosten

Noch Mühe sparen heißt, sie jenem gleich,

Vollkommen gleich zu machen. Das gelingt

Dem Künstler. Da er ihm die Ringe bringt,

Kann selbst der Vater seinen Musterring

Nicht unterscheiden. Froh und freudig ruft

Er seine Söhne, jeden ins besondre;

Gibt jedem ins besondre seinen Segen, –

Und seinen Ring, – und stirbt. – Du hörst doch, Sultan?

SALADIN der sich betroffen von ihm gewandt.

Ich hör, ich höre! – Komm mit deinem Märchen

Nur bald zu Ende. – Wirds?

NATHAN.

Ich bin zu Ende.

Denn was noch folgt, versteht sich ja von selbst. –

Kaum war der Vater tot, so kömmt ein jeder

Mit seinem Ring', und jeder will der Fürst

Des Hauses sein. Man untersucht, man zankt,

Man klagt. Umsonst; der rechte Ring war nicht

Erweislich; –

Nach einer Pause, in welcher er des Sultans Antwort erwartet.

Fast so unerweislich, als

Uns itzt – der rechte Glaube.

SALADIN.

Wie? das soll

Die Antwort sein auf meine Frage? ...

NATHAN.

Soll

Mich bloß entschuldigen, wenn ich die Ringe,

Mir nicht getrau zu unterscheiden, die

Der Vater in der Absicht machen ließ,

Damit sie nicht zu unterscheiden wären.

SALADIN.

Die Ringe! – Spiele nicht mit mir! – Ich dächte,

Dass die Religionen, die ich dir

Genannt, doch wohl zu unterscheiden wären.

Bis auf die Kleidung; bis auf Speis und Trank!

NATHAN.

Und nur von Seiten ihrer Gründe nicht. –

Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte?

Geschrieben oder überliefert! – Und

Geschichte muss doch wohl allein auf Treu

Und Glauben angenommen werden? – Nicht? –

Nun wessen Treu und Glauben zieht man denn

Am wenigsten in Zweifel? Doch der Seinen?

Doch deren Blut wir sind? doch deren, die

Von Kindheit an uns Proben ihrer Liebe

Gegeben? die uns nie getäuscht, als wo

Getäuscht zu werden uns heilsamer war? –

Wie kann ich meinen Vätern weniger,

Als du den deinen glauben? Oder umgekehrt. –

Kann ich von dir verlangen, dass du deine

Vorfahren Lügen strafst, um meinen nicht

Zu widersprechen? Oder umgekehrt.

Das nämliche gilt von den Christen. Nicht? –

SALADIN.

(Bei dem Lebendigen! Der Mann hat Recht.

Ich muss verstummen.)

NATHAN.

Laß auf unsre Ring'

Uns wieder kommen. Wie gesagt: die Söhne

Verklagten sich; und jeder schwur dem Richter,

Unmittelbar aus seines Vaters Hand

Den Ring zu haben. – Wie auch wahr! – Nachdem

Er von ihm lange das Versprechen schon

Gehabt, des Ringes Vorrecht einmal zu

Genießen. – Wie nicht minder wahr! – Der Vater,

Beteu'rte jeder, könne gegen ihn

Nicht falsch gewesen sein; und eh' er dieses

Von ihm, von einem solchen lieben Vater,

Argwohnen laß': eh' müss' er seine Brüder,

So gern er sonst von ihnen nur das Beste

Bereit zu glauben sei, des falschen Spiels

Bezeihen; und er wolle die Verräter

Schon auszufinden wissen; sich schon rächen.

SALADIN.

Und nun, der Richter? – Mich verlangt zu hören,

Was du den Richter sagen lässest. Sprich!

NATHAN.

Der Richter sprach: wenn ihr mir nun den Vater

Nicht bald zur Stelle schafft, so weis' ich euch

Von meinem Stuhle. Denkt ihr, dass ich Rätsel

Zu lösen da bin? Oder harret ihr,

Bis dass der rechte Ring den Mund eröffne? –

Doch halt! Ich höre ja, der rechte Ring

Besitzt die Wunderkraft beliebt zu machen;

Vor Gott und Menschen angenehm. Das muss

Entscheiden! Denn die falschen Ringe werden

Doch das nicht können! – Nun; wen lieben zwei

Von euch am meisten? – Macht, sagt an! Ihr schweigt?

Die Ringe wirken nur zurück? und nicht

Nach außen? Jeder liebt sich selber nur

Am meisten? – O so seid ihr alle drei

Betrogene Betrüger! Eure Ringe

Sind alle drei nicht echt. Der echte Ring

Vermutlich ging verloren. Den Verlust

Zu bergen, zu ersetzen, ließ der Vater

Die drei für einen machen.

SALADIN.

Herrlich! herrlich!

NATHAN.

Und also; fuhr der Richter fort, wenn ihr

Nicht meinen Rat, statt meines Spruches, wollt:

Geht nur! – Mein Rat ist aber der: ihr nehmt

Die Sache völlig wie sie liegt. Hat von

Euch jeder seinen Ring von seinem Vater:

So glaube jeder sicher seinen Ring

Den echten. – Möglich; dass der Vater nun

Die Tyrannei des Einen Rings nicht länger

In seinem Hause dulden wollen! – Und gewiss;

Dass er euch alle drei geliebt, und gleich

Geliebt: indem er zwei nicht drücken mögen,

Um einen zu begünstigen. – Wohlan!

Es eifre jeder seiner unbestochnen

Von Vorurteilen freien Liebe nach!

Es strebe von euch jeder um die Wette,

Die Kraft des Steins in seinem Ring' an Tag

Zu legen! komme dieser Kraft mit Sanftmut,

Mit herzlicher Verträglichkeit, mit Wohltun,

Mit innigster Ergebenheit in Gott,

Zu Hülf'! Und wenn sich dann der Steine Kräfte

Bei euern Kindes-Kindeskindern äußern:

So lad' ich über tausend tausend Jahre,

Sie wiederum vor diesen Stuhl. Da wird

Ein weisrer Mann auf diesem Stuhle sitzen,

Als ich; und sprechen. Geht! – So sagte der

Bescheidne Richter.

2 Kommentare:

Helmut Maier hat gesagt…

Ach wenn wir uns doch auf diesen weisen Richterspruch einlassen könnten - heute vielleicht noch etwas über die 'Weltreligionen hinaus!

Liebe Grüße
Helmut

Paul Spinger hat gesagt…

Herzlichen Dank lieber Helmut. Ich finde, dass diese Denkweise weit über die Grenzen der Religionen hinausgeht, so wie es ja von Lessing und Moses Mendelsohn wohl gedacht war. Liebe Grüße